About

Zufall und strenge Ordnungssysteme treffen in Voigts Papierarbeiten immer wieder neu inszeniert aufeinander. Rasterstrukturen, Vernetzungen und verschobene Symmetrien erscheinen als Partituren, als zeichnerische Erhebungen von Klängen. Häufig sind es auch Architekturfragmente, die in seine Zeichnungen eingewoben sind, im Sinne von Raumassoziationen, fließenden Strukturen, beiläufigen Notizen. In seinen Zeichnungen versucht er mit expansivem Zugriff die Kraft-Potenziale der Linie zu erkunden. Die Linie ist für ihn der verbindende Faktor, das lebendige Medium, das die einzelnen Bildelemente bündelt und dominiert.

Es geht ihm um die Erfindung von Formen, deren Organisation sich nicht wiederholt, sondern in räumlichen und flächigen Gebilden neu erschafft.
Er parzelliert, baut flächige Raumtreppen, legt Spuren. Dunkle Blöcke und Felder rhythmisieren das in Augenschein genommene Gebiet. In seinen linearen Statements ist Voigt ein Vermesser der Begrenzung, der sich nach dem Grenzenlosen sehnt. Die Offenheit ist der Gewinn.

Das Geheimnis des Zufalls
Rezension zur Ausstellung CORSO in der Galerie Adlergasse Dresden

Nach 25 Jahren kuratorischen Engagements für die Dresdner Galerie Adlergasse nimmt Stefan Voigt Abschied von seinem Amt als künstlerischer Leiter. Mit einer Ausstellung aktueller eigener Arbeiten am langjährigen Wirkungsort versetzt er nun sein Publikum in Erstaunen.

Auch wenn uns in den neuesten Werken vertrautes Repertoire der Voigtschen Bildzeichen begegnet, vereint der Künstler doch auf ungewöhnliche Weise die einst so widerstreitenden Kunstgattungen Malerei und Fotografie miteinander. Da sind großflächige Rasterungen, die sich in Rapporten über das gesamte Bildgeviert erstrecken oder vereinzelt den Bildgrund der Komposition akzentuieren. Formgebend wirken zweckentfremdete einstige, technische Versatzstücke, wie Matrizen, Gitterroste oder eigens von Voigt hergestellte Schablonen. Diese benetzt der Künstler mit Entwicklerlösung, Fixierer oder Wasser und setzt sie wie Stempelformen auf dem ungewöhnlichen Malgrund ein. Hierbei handelt es sich um großformatige kunststoffbeschichtete Fotopapiere für Schwarzweiß- oder Farbaufnahmen. Strengere Bildelemente konterkariert Stefan Voigt zugleich in gestischem breiten Pinselduktus, bisweilen auch mit Farbwalzen, wobei er besagte fotochemische Substanzen zur Farbgebung einsetzt. Basis seiner sphärisch-technoiden Bildwelten sind meist einzelne, klar umrissene Rechteckformen. Ihre zunächst passivische Gestalt, die an den Rändern in das Bildgeschehen eintritt, ist eine erste Setzung und leitet den Künstler, der sich bei seiner Entwicklung der Komposition immer einen Moment des Nicht- Kalkulierbaren bewahrt.

Aus den Seiten dieser kompakten, braunsilbrigen Körper lösen sich filigrane Linien, die wie dünne Gliedmaßen ein Eigenleben zu führen scheinen. Sie verbinden sich mit anderen Figuren im Bildraum, tänzeln auf dem lastenden Körper oder nehmen strenge gliedernde Züge an und werden zu autonomen Linien eines chiffriert anmutenden Bildsystems. Gesehenes wird zum Anker des einst bei Gerhard Kettner an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden geschulten Zeichners und Malers. In seinen informel- abstrakten Kompositionen experimentiert der in Radebeul ansässige Künstler mit unkonventionellen Materialitäten: Erste Erfahrungen sammelte Stefan Voigt Ende der 1990er Jahre mit Zeichnungen auf fotosensitiver Kunststoff-Folie.

Für seine aktuellen Arbeiten der Ausstellung „Corso“ dienen ihm gealterte und belichtete Fotopapiere, die für ihre eigentliche Funktion längst unbrauchbar geworden sind. Auf dem durch Lichteinfluss taubenblau gefärbten Papier erzeugt Stefan Voigt mittels Entwicklerlösung eine braunsilberne Chromatik. Mit Fixierflüssigkeit legt er den hellen, fast weißen Papierton frei, und reines Wasser als Malmittel hinterlässt Farbspuren in Rosé.

Während Stefan Voigt seine am Boden liegenden Malgründe bearbeitet, erhält er kein unmittelbares Ergebnis, häufig benötigen die hochsensiblen chemischen Flüssigkeiten ihre Zeit der Einwirkung, so dass das Motiv erst am nächsten Tag sichtbar wird. Die Zeit der Ungewissheit und auch das Akzeptieren mitunter ungewollter oder minder ausgeprägter Farbspuren müssen also vom Künstler einkalkuliert und in seine Komposition gegebenenfalls integriert werden. Im Gegensatz zur ursprünglichen Funktion der Fotografie nutzt Voigt das Medium also nicht im reinen Sinne des Bestätigungscharakters seiner bildkünstlerischen Aussage.

Die Distanz ist Teil seines Konzepts und findet auch in der charakteristischen, verblasst anmutenden Chromatik ihren Ausdruck: der Blauton mit hohem Grauanteil des Fonds wirkt geschlossen, opak und zugleich weit entrückt, fast schwebend. Die Pinselfakturen und Abdrücke der Matrizen in Entwickler, Fixierer und Wasser hinterlassen nuancenreiche und vor allem ungesättigte Braun-, Violett- und Inkarnattöne, die sich vom reinen Papiergrund in weich schimmerndem Weiß sanft abheben. Und natürlich werden wir an das Verblassen, das Verschwinden der Farbigkeit historischer Coloraufnahmen erinnert.

Aber die Chromatik in Stefan Voigts Farbwelt bleibt in sich konsistent, es sind die Farbtöne, die uns auch aus seinen Acryl-, Öl-, und Tuschmalereien auf Velin und Leinwand begegnen. Die Malerei des Dresdners ist, wie auch das Medium der Fotografie, keine Kontinuitätsstifterin im Sinne additiver Aufbereitung der Vergangenheit. Häufig entwickeln seine Bildzeichen weiche Konturen, werden nebulös, verschwinden hinter weiteren konziseren Figuren und rufen so einen vielschichtigen Bildraumeindruck hervor. In Voigts Kompositionen sind mehrere Ebenen und Sprünge der Bildgenese zugleich präsent, ohne über ein Vorher oder Nachher Auskunft zu geben.

Katharina Arlt, Februar 2023